Der Mond spiegelte sich an der Oberfläche des klaren Wassers. Manchmal war das Wasser so ruhig, dass man schwören konnte, es gäbe zwei Himmel, zwei Monde und unzählige, unendlich viele leuchtende Sterne. So auch heute Nacht.
Eine wunderbare Ruhe umgab den großen See inmitten dieses immergrünen, tiefen Waldes. Ganz leise hörte man im Unterholz die Grillen ihr Lied zirpen. Es war ein prächtiger überwältigender Anblick, schön – wunderschön, atemberaubend in seiner Einfachheit und beruhigend. Ab und an tauchte für den Bruchteil einer Sekunde ein Fisch aus dem Wasser auf als wollte er nach Futter schnappen, um gleich darauf genauso schnell wieder zu verschwinden. Die kleinen Wellen, die von der Stelle ausgingen, an der der Fisch aufgetaucht war, waren der einzige Beweis dafür, dass es keine optische Täuschung war. Kleine Wellen, kleine Kreise, die immer größer wurden, bis sie auch wieder verschwanden, als wäre nie etwas Derartiges geschehen. Alles hatte sich wieder beruhigt, alles war nun wieder still und friedlich, wie zuvor. Alles so natürlich, ruhig und ausgeglichen. Doch blieb nichts von diesen einfachen Vorgängen unbeobachtet.
Ein winziges Wesen, rein wie die Luft und klar wie das Wasser, verfolgte alles mit träumerischer Ruhe und kindlicher Freude. Trotz der Tränen in seinen Augen. Das kleine Geschöpf saß auf einem Stein am Ufer des Sees. Die zartblauen, hauchdünnen Flügel ganz eng an ihrem zerbrechlich wirkenden Körper angelegt, als friere sie. Der Körper des Wesens war bedeckt mit einem fast durchsichtigen blauen Samtkleid. Ihr Kinn auf ihrem Knie gelegt, auf den See starrend, saß die kleine Elfe da. Das helle Mondlicht erstrahlte auf ihrem glatten, bläulich strahlenden, langen Haar. Nichts, nicht die kleinste Veränderung konnte ihrem wachsamen Blick entgehen, obwohl sie nur so vor sich hin träumte. Ihr Blick war stetig auf die Mitte des Sees gerichtet. Sie saß auf diesem Stein und war sehr traurig. In ihren tränenerfüllten blauen Augen spiegelte sich das Mondlicht. Ihre Hände hatte sie vor ihrem Schienbein zusammen gefaltet, als würde sie beten. Erneut durchbrach das Plätschern eines neugierigen Fisches die Stille dieser wunderschönen Nacht. Die Elfe bewegte sich noch immer nicht. Still und starr saß sie da. Leichter, warmer Wind fing an die Kronen der Bäume rund um den See zu erfüllen. Auch auf dem See wurden kleine Wellen sichtbar. Das wunderbare Haar der Elfe wurde durch diesen sanften Wind in ihr Gesicht geweht, und es verdeckte für einen kurzen Augenblick die Tränen auf ihren zarten Wangen. Sie strich sich mit ihrer Hand die Haare hinter ihre kleinen spitzen Ohren und verweilte dann wieder ohne Bewegung auf dem Stein. Ihr Herz schmerzte. Sie verspürte an diesem friedlichen und vollkommenen Ort den Hass der Menschen auf der ganzen Welt. Und dieser Hass brach ihr das kleine Herz. Ihre Flügel waren kraftlos, gelähmt von all dem Übel und der Streitigkeiten überall auf dieser schönen Erde. Jedes einzelne böse Wort, jede schlechte Tat bereiteten ihr schreckliche Qualen. Sie war starr vor Schmerz und Traurigkeit. Wann hatte sie das letzte Mal Liebe verspürt, Liebe die ein menschliches Wesen für ein anderes fühlt, oder für sich selbst fühlt, oder seine Familie? All die Hoffnung, die die kleine Elfe in ihrem Herzen trug, wurde von Tag zu Tag unweigerlich schwächer. Auch das ihre Kraft Gutes zu tun im Schwinden begriffen war, grämte sie ungemein und erfüllte sie mit großer Angst. Nur noch Hass und Habgier, Ungerechtigkeit und Gewalt regieren die Welt, den größten Teil davon zumindest. Hier, in diesem Wald, an diesem See, war einer der letzten Orte wo all dieses Übel noch nicht soviel Macht ausübte. Hier existierte der natürliche Kreislauf der Natur noch, unverfälscht, ungebrochen und gerecht. Viele solcher Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie so still und einsam auf ihrem Stein verweilte.
Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken, aus ihrer Trauer. Stimmen, menschliche Stimmen, doch an diesem Ort? Hier kam doch niemals jemand her. Noch nie hatte sie hier Menschen gesehen. Doch da war noch etwas Anderes, sie verspürte etwas, etwas so starkes, dass ihre kleinen Flügel sich von selbst spannten und schnell zu flattern anfingen. Ihr Gesicht hellte sich auf, die Tränen verschwanden aus ihren Augen, und sie fing an zu strahlen. Die kleine Elfe lächelte als sie sich von ihrem Stein erhob. Sie fühlte LIEBE! Klar und deutlich, so stark und rein wie sie sonst nur den Hass fühlen konnte. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen, sie war aufgeregt, nach so langer Zeit fühlte sie wieder Liebe. Es war das Schönste aller Gefühle, so rein und aufrichtig. Sie erhob sich in die Lüfte und versteckte sich erwartungsvoll in den Ästen eines in der Nähe stehenden Baumes. Man konnte die zwei Menschen gut erkennen. Sie kamen zwischen den Büschen und Bäumen aus der Dunkelheit. Der Mond schien hell genug um ihnen den Weg zu beleuchten. Es waren ein Junge und ein Mädchen. Die Elfe spürte sofort die Kraft der von ihnen ausgehenden Liebe, sie konnte sie in deren Herzen strahlen sehen. Die Liebe machte diese zwei Menschen heller als Engel. Hand in Hand näherten sich die beiden dem See. Vor dem Wasser blieben sie stehen und betrachteten diesen wunderschönen Ort. Ohne ein Wort zu sagen drehte sich das Mädchen zum Jungen und gab ihm einen Kuss. „Danke, dass Du mir diesen Ort zeigst, ich finde ihn bezaubernd!“, sagte sie zu ihm und umarmte ihn. Er hob sie während des Umarmens auf und freute sich von ganzem Herzen. Das Herz der Elfe fing hell zu leuchten an. Sie hatte die Liebe wieder gefunden. Verloren hatte sie all die Hoffnung in die Menschen und ihr Handeln, doch diese beiden hatten ihr Vertrauen in der Menschheit Errettung erneuert. Ihr Herz ging über vor Freude. Lange hatte sie sich nicht so lebendig und wohl gefühlt. Sie verließ ihr Versteck und flog zum Liebespaar hin, die noch immer am Wasser standen. Sie hatten die Stille und die Ruhe dieses Ortes in ihre Herzen aufgenommen und waren überglücklich hier gewesen zu sein. Die beiden konnten die Elfe nicht sehen, die sich nun über ihren Köpfen befand, doch konnten sie sie spüren, sie konnten ihre Hoffnung spüren, ihr Vertrauen. Sie fühlten ihr Licht leuchten! Und es leuchtete heller noch als die Sonne jemals scheinen konnte. Sie verharrten noch eine Weile am See, und dann beschlossen die beiden nach Hause zu gehen. Beide waren schon ein Stück vom See entfernt, als das Mädchen den Jungen bat einen Moment zu warten. Sie lief schnell zurück zum Wasser und hob etwas vom Boden auf. Mit freudigem Gesicht kam sie zu dem Jungen zurück und zeigte ihm voll Stolz einen Stein. Auf dem Stein war ein Muster eingeritzt, das so aussah wie ein Kleeblatt mit vier Blättern. Der Junge lächelte, legte seine Hand auf ihre und führte die Hand samt dem Stein an ihr Herz. „Pass gut auf diesen Stein auf, er hat magische Kräfte, ich bin mir sicher, mag er von nun an Dein Glücksbringer sein.“, sprach er zu ihr. Das Mädchen erwiderte das Lächeln und beide gingen Hand in Hand durch die Nacht nach Hause.
Die Elfe, noch immer in der Nachtluft fliegend, drehte sich zu den beiden um und winkte ihnen zum Abschied. Sie wusste, diese beiden ihren Stein finden zu lassen war ein gutes Werk, er soll ihnen in ihrem weiteren Leben ihre Liebe und Glück erhalten. Mit freudestrahlenden Augen landete die Elfe knapp am Wasser. Sie blickte sich um und fand sofort einen neuen Stein, auf dem sie sich niederließ. Es war wieder ruhig geworden dort am See, bis ein erneutes Plätschern eines Fisches wieder die Nacht belebte. Die Elfe saß ruhig auf ihrem neuen Stein und betrachtete das sich immer wiederholende Schauspiel des Fisches, blickte in Richtung des entschwundenen Liebespaars und lächelte, mit dem Herzen voller Hoffnung. Sie fühlte es wieder durch ihren ganzen Körper strömen, und sie war sich nun sicherer denn je zuvor – es gibt IMMER Hoffnung!!!